Andreas Wienekes Bergtouren Seiten
Nach einigen verregneten Wochen in Deutschland war für die kommende Woche endlich schöneres Wetter angesagt. Ich fuhr spät abends mit meinem Wagen los, schlief einige Stunden auf einem Rastplatz bei Kempen, und erreichte am frühen Vormittag den Reschenpass.
 
Von hier aus konnte man schon sehen, daß das Wetter auf der Alpensüdseite deutlich besser war als das im Norden. Hier gab es keine dichten regenschweren Wolken und hier und dort war die Sonne zu sehen. Da ich noch sehr früh dran war, fuhr ich nicht direkt ins Marteller Tal, sondern zunächst nach Sulden zum Fuß des Ortlers.
 
Dieser Gipfel gehörte leider nicht zum Programm der kommenden Woche. So konnte ich mir das Gebiet von Sulden aus nur ansehen und ein bißchen spazierengehen. Nach einiger Zeit fuhr ich dann wieder hinab ins schöne Etschtal und bei Goldrain schließlich hinein ins Marteller Tal. Es ging in Kehren aufwärts, vorbei am Zufritt See, wieder in Kehren aufwärts bis zum Parkplatz an der Enzianhütte. Hier auf 2.050 m stellte ich den Wagen für die kommende Woche ab.
 
Das Wetter war kühl und es war noch eine überwiegend geschlossene Wolkendecke zu sehen. Den schweren Rucksack brauchte ich zum Glück nicht weit zu tragen, die ist nur 215 Hm höher und gut ½ Stunde entfernt von der Enzianhütte. So war ich schnell dort.
 
Der Rundblick von dort oben war schon sehr vielversprechend. Einige Gipfelziele der folgenden Tage waren vom Bereich der Hütte aus schon zu sehen. So im Nordwesten die Madritschspitze, im Süden die drei Veneziaspitzen und im Südwesten die Zufallspitzen. Der Blick nach Nordosten ging über das schöne, aber geschlossene Hotel Bella Vista, die Enzianhütte und den Zufrittstausee und am Ende das Marteller Tales das Etschtal und die dahinter im Norden liegende Texelgruppe (Öztaler Alpen).
 
Ich meldete mich bei der sehr netten Hüttenwirtin an, ließ den Rucksack im Skiraum und machte mich auf den Weg die Gegend um die Hütte herum zu erkunden. Nach dem ich die Hügelchen nahe der Hütte ein bißchen erkundet hatte, wollte ich noch zur ca. 600 Hm höher gelegenen Marteller Hütte (2.610 m).
 
Es ging hinter der Hütte nach SW über einen guten Weg {150} aufwärts hinüber zum "Bau", einer alten Schutzmauer in 2.300 m Höhe, die 1891 bis 1983 errichtet wurde, um das Tal vor unvorhersehbaren plötzlichen Ausbrüchen von Gletscherseen zu schützen. Wie etwa im Jahr 1889, als in weniger als 30 Minuten 700.000 m³ Wasser ins Tal rasten und Verwüstungen bis nach Kastelbell anrichteten.
 
War das Wetter beim losgehen zwar kühl, aber trocken gewesen, trübte es sich zusehens ein. Leichtsinnigerweise hatte ich nur meine Fleece-Jacke und nicht meinen Anorak mitgenommen. Als ich beim Aufstieg zu Hütte auf dem Weg {103} war begann es bald heftig zu regneten, graupeln und schneiten. Auch der Wind nahm erheblich zu und ich beschloß zur Zufallhütte zurückzugehen. Auf dem Rückweg zur Hütte zeigte sich, daß dies nur heftiger Schauer gewesen war. Ich hätte die Marteller Hütte also leicht erreichen können, naja, hinterher ist man immer klüger!
 
Abends gegen 18 Uhr trafen sich alle Teilnehmer der Tour, die Bergführer stellten sich vor und es wurde Material ausgegeben.
 
Dieser Tag sollte uns als Eingewöhnungstag auf die Madritschspitze führen. Wir teilten uns in zwei Gruppen á 6 Teilnehmer auf, unsere bekam den Bergführer ′Erhard′, einen netten Kerl aus Landsberg, den ich im Jahre 2003 zufällig im Zillertal wieder traf. Wir verließen gegen Acht Uhr die Hütte auf dem Weg {151} und durchquerten ein kleines, schönes Hochmoor. Währden des gemütlichen Aufstieges erklärte uns Erhard die verschiedensten Dinge: die Besonderheit des Martellertales, das richtige Gehen in den Bergen und den richtigen Stockeinsatz. Auch die meisten Blumen die wir sahen kannte er beim Namen.
 
Der Anstieg durch das Tal gestaltete sich überwiegend leicht, da der Weg zum Madritschjoch viel begangen und die Steigung recht moderat war. Er führte auf der nördlichen Seite des Tales hoch über dem Madritschbach entlang. Da das Wetter bisher sehr schlecht gewesen war, lag ab ca. 2.800 m noch viel Schnee. Erst im letzten Teil, ca. 200 Hm unterhalb der Madritschscharte begann der Weg dann steiler zu werden. Wir rasteten bei der Scharte im Winschatten der Felsen. Von hieraus konnten sahen wir auf das gegenüberliegende Dreigestirn Königspitze, Mt.Zebru und Ortler und hinab in das Skigebiet der Schaubachhütte. Die hintere Schöntaufspitze nördlich der Scharte ist innerhalb ½ Std. leicht von dort aus zu erreichen.
 
Nach einer ausgiebigen Rast gingen wir weiter in Richtung der Madritschspitze. Bis zum Einstieg auf den Grat gingen wir auf der westlichen Seite, und wechselten dann hinüber auf die leider stärker verschneite östliche Seite. Wir stiegen den Grat in überwiegend leichter Blockkletterei (bis I) zur Spitze hinauf.
 
Leider zeigte sich schon bei diesem, vergleichsweise leichten Anstieg, daß ein Teilnehmer diesen Anforderungen technisch und konditionell nicht gewachsen war. Das sollte uns am nächsten Tag noch in Bedrängnis bringen. Kurz unterhalb des Gipfels erwartete uns dann noch eine ca. 5 m hohe IIer Stelle, die wir aber mit Erhards Hilfe (fast alle) leicht meisterten. Kurz darauf standen wir auf dem Gipfel der Madritschspitze (3.265 m).
 
Der Abstieg erfolgte dann sehr einfach über den breiten verschneiten Südrücken der Madritschspitze hinab ins Butzental. Dabei mußten wir immer wieder auf den Bergkameraden warten, der jetzt stark abbaute und selbst auf diesen einfachen Bergpfaden erhebliche Schwierigkeiten hatte. Während des Abstieges trübte sich das Wetter dann wieder ein und hüllte uns in leichten Regen und Graupel.
 
Wir erreichten am Ende des Butzentales den vom Eisseepaß kommenden Weg {150} und gingen darauf vorbei am "Bau" hinab zur Hütte, wo wir Apfelstrudel und Cappuccino genossen und den Tag noch einmal Revue passieren ließen. Später genossen wir dann noch das wie jeden Abend ausgezeichnet Essen.
 
Für diesen Tag stand die Hintere Rotspitze auf dem Programm. Wir verließen die Hütte wieder gegen Acht Uhr bei wolkenlosem, blauem Himmel und sehr kalter Luft. Es war in der Nach so kalt gewesen, daß die kleine Brücke über den Plima Bach, 150 Hm unterhalb der Hütte, noch teilweise sogar noch vereist war.
 
Kurz danach stiegen wir über die wunderschönen Bergwiesen den Weg {12} durch das "Paradies" hinauf. Dabei erfuhr ich, daß der Enzianschnaps nicht etwa aus den kleinen blauen Blüten, sondern aus einer deutlich größeren, hier unten in feuchten Bereichen vorkommenden Art, dem gelben Enzian gemacht wird.
 
In einer größeren flachen Stelle, etwas oberhalb des Zusammentreffens der Wege {12} und {12b} rasteten wir einige Zeit. Danach wurde der Weg sehr steil und führte über schmale felsige Bergpfade weiter bergan. Wir mußten dabei sehr vorsichtig gehen, da der Weg durch seine nordseitige Exposition noch viel Rauhreif und Eis aufwies. Als wir bei ca. 2.800 m wieder die geschlossene Schneedecke erreichten, wurde das gehen wieder etwas einfacher.
 
Am Beginn der kümmerlichen Reste des Gletschers südwestlich unterhalb der Sällentspitze rasteten wir noch einmal kurz. Anschließend ging es vorbei am Sällentjoch durch den Schnee am Rande des Gramsenferners aufwärts, und schließlich in den stark verschneiten NO-Grat der hinteren Rotspitze hinein.
 
Wie am Tag zuvor ging es in leichter Blockkletterei (bis I) den Grat entlang hinauf zum Gipfel. Dabei war der Anstieg allerdings gut doppelt so lang wie am Vortag. Dies zeigte sich auch bei dem Bergkameraden. Er hatte beim Aufstieg wieder erhebliche Schwierigkeiten gehabt und war auf dem Gipfel fix und fertig, aber wir mußten ja auch noch wieder runter!
 
Zunächst einmal genossen wir jedoch die atemberaubende Aussicht vom Gipfel der Hinteren Rotspitze (3.347 m). Das Wetter hatte gehalten und wir hatten bei nahezu wolkenlosem Himmel und klarer Luft einen wunderbaren 360° Rundum Blick.
 
Ganz weit im Südwesten war die Bernina zu gut erkennen. Unter uns im Süden der riesige Moosferner. Im Westen vor uns die Veneziaspitzen, dahinter der Palon de la Mare, die Zufallspitzen und der Cevedale, rechts davon das Dreigestirn: Königspitze, Mt.Zebru und Ortler, davor die Suldenspitze, rechts davon Eissee-, Butzen- und Madritschspitze. Im Nordwesten lugten hinter den vielen Gipfeln jenseits des Martelltales noch die Vertainpitze und der Hohe Angulus hervor, kurz gesagt unbeschreiblich!
 
Leider kann man jedoch nicht dort oben bleiben, sondern muß irgendwann wieder runter. Nach ca. einer ¾ Stunde machten wir uns wieder auf den Rückweg zu Hütte. Wir legten unsere Sicherungen (Brust-, Sitzgurt) an, banden uns ins Seil ein, stiegen dem Westgrat der Hinteren Rotspitze hinab und querten bald den Gramsenferner in Richtung auf die Vordere Rotspitze. Der Gletscher war inzwischen schon ein wenig weich geworden und je tiefer wir kamen, desto sulziger wurde der Schnee. In etwa 2.900 m Höhe verließen wir den Gletscher und überquerten den S-Grat der Vorderen Rotspitze. Dahinter erreichten wir bald den von deren Gipfel kommenden Weg {37a}, dem wir in Richtung Westen absteigend folgten.
 
Unser Bergkamerad schleppte sich hier nur noch mühsam vorwärts, aber es half nichts, wir mußten runter. Am Zusammentreffen mit dem Weg {37} diskutierten wir kurz mit Ihm, ob er lieber zur nahen Marteller Hütte wolle, aber er meinte nun würde er den Rest auch noch schaffen. Es folgte noch ein Abstieg über die riesige Seitenmoräne des Hohenferners (am Anfang ca. 40 - 50 m hoch) und ein sehr steiler Abstieg zum "Bau" von wo aus es nicht mehr weit auf dem Weg {150} zur Zufallhütte war. Der Weg, der in 8 - 9 Stunden gut zu gehen war hatte durch den schwachen Kameraden mehr als 11 Stunden gedauert. Da das so nicht bleiben konnte sprach Erhard am Abend noch mit ihm und überzeugte ihn, dass
 
Der schwache Kamerad hatte sich entschlossen die folgenden Touren nicht mehr mitzumachen, denn die Anforderungen würden heute und in den folgenden Tagen ehr ansteigen, als geringer werden. Wir verließen die Hütte bei ausgezeichnetem Wetter wieder um acht Uhr und gingen auf dem bereits bekannten Weg {150} am "Bau" entlang und dann ein gutes Stück entlang des Abstieges des ersten Tages in Butzental hinein.
 
In ca. 3.000 m Höhe gingen wir weiter in Richtung auf den Butzenpaß zu. Von dort aus hatten wir in kurzer Zeit den sehr flachen Gipfel der Butzenspitze (3.300 m) erreicht. Nach einer kurze Rast stiegen wir steil den W-Grat hinab, um bald danach die Eisseespitze (3.230 m) zu erreichen.
 
Hier rasteten wir etwas ausgiebiger. Das Wetter war wieder optimal: wenig Wolken, wenig Wind, blauer Himmel, was will man mehr. Auf der Eisseespitze befanden wir uns wie auf einem Aussichtsbalkon gegenüber des Dreigestirns. Die gegenüberliegenden Eisriesen waren zu greifen nah. Auch der Tiefblick zu den im Norden und Nordosten liegenden Hintergrat-, Schaubach-, und Madritsch Hütten sowie nach Sulden war sehr eindrucksvoll, das Skigebiet bei den Schaubachhütte hingegen weniger.
 

 
Wir machten uns schließlich auf den leichten Absteig hinunter zum Eisseepass. Etwas unterhalb des Passes, in ca. 3.000 m Höhe befinden sich noch Unterkünfte aus dem Ersten Weltkrieg. Das gesamte Ortlergebiet war im Ersten Weltkrieg Schauplatz erbitterter Kämpfe und der Bereich des Eisseepasses war ein Teil des der Grenzverlaufes. Auch die Zufallhütte war Teil dieser Unterkünfte, sie war ein Etappen- und Kommandopunkt der Österreicher. Die Vorstellung nicht nur bei gutem Wetter im Sommer hier oben zu sein, sondern auch im Winter, dabei mit schweren Gegenständen und Waffen hantieren zu müssen, das alles bei magerer Kost und der ständigen Angst vor dem Feind und den Naturgewalten ließ uns Mitleid mit den armen Kerlen haben, die einige Jahre ihres Lebens hier oben verbracht haben.
 

 
Nach dem wir ein steiles, sehr rutschiges Stückchen passiert hatten, gingen wir auf dem weiteren Weg {150} fast gemütlich absteigend immer weiter hinab. Wir passierten immer wieder Reste von Unterkünften, Lagern oder Stallungen. Auch auf dem rechts vom Weg liegenden Langerferner lagen noch gut erkennbar Bretter der ehemaligen Baracken. Nach einiger Zeit hatten wir es geschafft und erreichten voller Eindrücke wieder die Zufallhütte.
 
Wieder hatten wir beste Verhältnisse, als wir diesmal um Sieben Uhr die Hütte verließen. Die drei Veneziaspitzen standen auf dem Programm. Wir gingen auf dem Weg {150} bis zum "Bau", überquerten ihn und stiegen der Weg {37} hinauf, vorbei an dem Zusammentreffen mit dem Weg {37a} bis zur Gletscherzunge des Hohenferners. Dort rasteten wir etwas, legten wieder unsere Sicherungen an, banden uns ins Seil ein und stiegen mal steiler, mal flacher den Gletscher hinauf.
 
Unser Ziel war die Scharte zwischen Köllkuppe und Erster Veneziaspitze. Bevor wir die Scharte jedoch erreichten mußten wir uns noch einmal im steilen Schnee sehr anstrengen. In der Scharte und auf dem Grat blies ein kräftiger, kalter Wind. Von der Scharte aus ging es dann wie auch schon in den Tagen zuvor in meist leichter Blockkletterei den Grat hinauf zum Gipfel der Ersten Veneziaspitze (3.386 m) hoch über dem riesigen, im Süden liegenden Moosferner.
 
Von dort aus war der Aufstieg zu den Zufallspitzen und Cevedale am nächsten Tag sehr gut zu erkennen. Auch die 360° Blicke waren wieder überwältigend, das Wetter spielte wie in den Tagen zuvor wieder mit. Wir rasteten jedoch nur kurz auf dem Gipfel und machten uns bald auf den Abstieg zur Scharte vor der Zweiten Spitze, die wir bald darauf nach einem Gegenanstieg erreichten (3.371 m). Auch hier blieben wir nur kurz, stiegen steil hinab von der Zweiten Spitze und deutlich leichter hinauf zur Dritten Veneziaspitze (3.356 m). Hier rasteten wir nun etwas länger und genossen die Rundblicke.
 
Der Anstieg führte und zunächst auf leichtem Weg durch den Schnee den Ostgrat hinab bis zur Scharte zwischen Dritter Venezia- und Hinterer Schranspitze und von dort aus geradewegs nach Norden abwärts über den Schranferner. Am Ende trafen wir wieder auf den von der Vorderen Rotspitze kommenden Weg {37a}, den wir ja schon kannten.
 
Wir stiegen wie am zweiten Tag auf diesem Weg ab, und erreichten bei der Seitemoräne des Hohenferners den Aufstiegsweg {37} des heutigen Tages. So gingen wir wieder hinunter am "Bau" vorbei und schließlich auf dem Weg {150} zurück zur Zufallhütte. Dort belohnten wir uns wieder mit frischem Apfelstrudel und Cappuccino für die Mühen des Tages und verfolgten den Auf- und Abstiegsweg noch mal soweit er von der Hütte aus zusehen war.
 
Für heute stand der Höhepunkt der Woche, sowohl was die absolute Höhe, als auch was die Aufstiegshöhe (1.600 Hm) betraf auf dem Programm: Zufallspitzen und Cevedale. Leider wollten ein Bergkamerad und eine Kameradin diesen Aufstieg nicht mitmachen, da er ihnen zu anstrengend erschien, daher waren wir nun nur noch zu viert.
 
Wir marschierten um sechs Uhr, wieder einmal bei bestem Wetter, zunächst auf dem üblichen Weg {150} zum "Bau" los. Diesmal wandten wir uns jedoch am Ende der Staumauer nach rechts und gingen zunächst völlig eben auf dem Weg {103} nach Westen. Bald jedoch erreichten wir den steilen Anstieg zur Marteller Hütte, den ich am ersten Tag zum Teil schon alleine gegangen war. Diesmal war das Wetter jedoch erheblich besser und nach kurzer Zeit passierten wir die Marteller Hütte, in der sich jedoch noch niemand regte.
 
Nun ging es zunächst etwas absteigend in das Tal des Fürkeleferners hinein und dann leicht ansteigend hinüber zur Gletscherzunge. Dort legten wir wieder die Sicherungen an und banden uns ins Seile ein, rasteten aber nicht allzu lange. Der Gletscher hatte wieder eine wunderbar harte Firnschicht, also beste Verhältnisse wie schon in den Tagen zuvor. Wir stiegen den Gletscher empor und erreichten schließlich die Fürkelescharte. Hier rasteten wir dann etwas ausgiebiger.
 
Die Scharte war der Beginn des Aufstiegs über den Ostgrat der Zufallspitzen. Es ging mal steiler, mal weniger steil, aber immer sehr einfach den Grat hinauf. Ganz selten und dann auch nur über kurze Wegstrecken trafen wir auf Blockkletterei wie in den ersten Tagen. In ca. 3.500 m Höhe querten wir eine flache Senke und stiegen dann den letzten, sehr steilen, aber technisch unschwierigen Teil des Gipfelgrates hinauf. Schließlich erreichten wir bei bestem Wetter die Zufallspitze (3.757 m). Wir machten es uns dort gemütlich und rasteten ausgiebig.
 
Die anderen Eisriesen, die wir schon in den Tagen zuvor bewundert hatten lagen nun vor uns (Dreigestirn) oder unter uns (Venezia- und Rotspitzen, Eissee-, Butzen-, Madritschspitze). Unter uns im Norden der ausgedehnte Teil des Zufallferners, im Westen der große Fürkeleferner und im Süden das riesige Becken des Gletschers Vedretta de la Mare. Im Nordwesten unter uns lag die Cassati Hütte, ein beliebter Stützpunkt bei der Besteigung von Zufallspitzen und Cevedale. Von hier aus war es nur noch ein Katzensprung hinüber zum Cevedale dessen Name übrigens nichts anderes ist, als die italienische Verballhornung des Wortes Zufall.
 
Nach einiger Zeit machten wir uns daran hinüber zum Cevedale zu queren. Wir stiegen dazu bei heftigem, eiskaltem Wind ca. 60 Hm auf den Vedretta de la Mare ab, da die Verhältnisse den Weg über den Verbindungsgrat zwischen Zufallspitze und Cevedale nicht zuließen. Am niedrigsten Punkt des Verbindungsgrates gingen wir auf diesem hinauf zum Gipfel des Cevedale (3.769 m) und damit zum höchsten Punkt unsere Tourenwoche. Da der Cevedale von der Casati Hütte aus sehr einfach zu erreichen ist, war dort oben bei diesem Superwetter "ein Betrieb wie auf'm Jahrmarkt". Wir blieben daher nur kurz hier oben und stiegen zunächst sehr steil, bald aber sehr leicht abfallend über den Zufallferner zur Casati Hütte (3.254 m) hinab.
 
Wie nicht anders zu erwarten kamen uns auf dem Gletscher wieder einige Einzelwanderer, z.B. im T-Shirt, ohne jegliche Sicherung dafür aber mit großem Hut und Sonnenbrille, entgegen. Manche begreifen die Gefahren eines Gletschers eben oft erst, wenn es zu spät ist und sie in einen Wetterumschwung geraten, oder in eine Spalte gefallen sind. Spaltenlöcher jedenfalls konnte man unmittelbar neben der Spur durchaus einige sehen.
 
Nach einer ausgiebigen Rast auf der Casati Hütte mit etwas Rotwein für die tolle Leistung machten wir uns auf den Abstieg. Wir querten dabei den Langenferner unterhalb der Suldenspitze nach Norden auf den Eisseepass zu {171}. Dies erwies sich jedoch noch einmal als Schinderei, denn der Schne war inzwischen so weich, daß wir häufig bis zu den Knien, manchmal bis zum Gesäß einsanken. Wir waren glücklich, als wir recht abgekämpft endlich den vom Eisseepass kommenden Weg {150} erreichten. Diesem folgten wir wie bereits am 4. Tag entlang des Langenferners, vorbei an den Resten der Unterkünfte und des "Baus" schließlich wieder zu Zufallhütte. Dort genossen wir in der warmen Nachmittagssonne wieder einmal frischen Apfelstrudel und Cappuccino.
 
So schnell die Woche gekommen war, so schnell war sie schon zu Ende. Am Morgen machten wir noch ein Abschiedsfoto mit unserer Gruppe und verabschiedeten uns voneinander. Der eine oder andere Bergkamerad hatte Glück und konnte den Rest des Tages noch für Wanderungen nutzen, die meisten jedoch, wie auch ich mußten leider wieder nach Hause fahren.
 
Unsere Rucksäcke gondelten mit der Materialseilbahn ins Tal und wir wanderten mit den Bergführern hinab zum Parkplatz. Nach einer letzten Verabschiedung war ich erfreut festzustellen, daß mein Wagen noch dort war und er auch problemlos ansprang. Ich wollte noch gar nicht so recht nach Hause und hielt noch das eine oder andere Mal im Marteller Tal, im Pfintschgau und am Reschenpass. Am Abend erreichte ich dann doch wohlbehalten meine Wohnung, so ging eine wunderschöne Hochtourenwoche zuende.